Das andere Leben

Das andere Leben, wie war das doch gleich?
Ich kann mich kaum noch besinnen.
Sind deine Hände hart oder weich?
Ich kenn‘ nur mein Zimmer von innen.

Ich sehne mich nach Deinem Gesicht.
Wir können nicht mehr sprechen.
Ich sehe deine Seele nicht.
Sie hat sicher viele Gebrechen.

Ich will mein Leben jetzt zurück,
und selbst für mich entscheiden.
Ich kümmre mich selber um mein Glück!
Ich hab nicht gebeten, zu leiden.

Ich möchte halten deine Hand
und meine Liebsten sehen.
Es bringt mich fast um den Verstand,
vielleicht alleine zu gehen

von dieser Welt, die mich gebar‘,
und die ich von Herzen liebe.
So viele Wunder wurden schon wahr,
doch Wünsche ich nun verschiebe.

Ich fühl‘ mich betrogen, verraten, verkauft
und wenig beschützt und geborgen.
Auch wenn ihr mit goldenen Masken rumlauft,
habe ich Angst vor dem Morgen.

Ich will es zurück, das andere Leben,
will lachen, tanzen und singen.
Ich will meinen Lieben Antworten geben.
Und möchte vor allen Dingen

sagen, was ich denke und glaube
und über mein Dasein selber entscheiden,
ohne Bewertung und Daumenschraube.
Es ist MEIN Leben. Es ist MEIN Leiden.

Dieses Gedicht ist meiner lieben Freundin Ursel gewidmet, die während des ersten Lockdowns kurz nach ihrem 100. Geburtstag in einem Pflegeheim in den Armen der Einsamkeit verstarb.

© Birgit Kordelle, Dezember 2020

Die kleine Träne

Als Gott durch seine Wolke sah,
war ich dem Himmel schon ganz nah.
Es fehlten nur noch ein paar Stunden,
dann hat die Stille mich gefunden.

Die kleine Träne, die ich weinte
bei meinem Abschied. Sie vereinte
all die Liebe und den Schmerz.
Sie wohnten tief in meinem Herz.

Ich konnt‘ nicht bleiben hier auf Erden,
aus meinen Tränen Sterne werden.
Die Zeit spielt keine Rolle mehr
im sternenklaren Tränenmeer.

Die kleine Träne – ein Kristall
fliegt hoch mit mir hinauf ins All.
Von dort aus sende ich mein Licht,
das sich im Regenbogen bricht.

Du kannst das Licht am Himmel sehen
und ein sanfter Wind wird wehen.
Ich werd‘ dir Tränentropfen senden,
denn meine Liebe wird nie enden.

© Birgit Kordelle, 28.02.2020

Erinnerung

Manchmal seh‘ ich in fremden Leuten
die, die längst verstorben sind.
Ich frag, was hat das zu bedeuten-
und fühl‘ mich wieder wie als Kind.

Ich möchte diesen Menschen danken
fühl‘ all die Liebe und das Licht,
seh‘ Dinge, die im Nichts versanken-
aber leider geht das nicht.

Doch vielleicht geh‘n die Gedanken
voll Mitgefühl und Dankbarkeit
hinüber über alle Schranken
und überdauern alle Zeit?

© Birgit Kordelle, Juni 2018